2.3. Danziger Verfassung
Am 15. November 1920 wurde die, gemäß Art. 102 des Versailler Vertrages, geforderte Danziger Verfassung offiziell verkündet. Nun ging die Territorialsouveränität über Danzig und Umgebung von den Alliierten an die Provisorische Regierung des Freistaates Danzig. Alle Anrechte des Deutschen Reiches an und um Danzig wurden aufgehoben18.
Die am 06. Dezember 1920 neugewählte Regierung teilte in einer Erklärung mit, sie wolle ein freundschaftliches Verhältnis zu Polen pflegen und sei an einer wirtschaftlichen Zusammenarbeit interessiert. Gleichzeitig wird allerdings unterstrichen, dass Danzig seinen „deutschen Charakter“ aufrecht erhalten wolle. 19
Weiterhin stellt Artikel 4 der Danziger Verfassung fest, dass Deutsch als Amtsprache diene. Allerdings wird der polnischen Minderheit per Gesetz der Gebrauch der polnischen Sprache im Unterricht, bei der inneren Verwaltung sowie der Rechtspflege zugesprochen20.
Praktisch wurden diese Bestimmungen jedoch nicht von den Danzigern anerkannt. Die polnische Bevölkerung erlebt Ablehnung und Diskriminierung.
Die Schulen für die polnische Minderheit standen unter der Aufsicht des Danziger Senats, jedoch konnten diese „polnischen“ Schulen ihrer Aufgabe nicht zweckgemäß erfüllen, weil die Lehrer zum Teil kein polnisch sprachen und auch die finanzielle Unterstützung nicht ausreichte.21 Erst 1933 wurden die in Artikel 104, Nr.5 VV und Artikel 4 der Danziger Verfassung festgeschriebenen Rechte vor dem Völkerbund Tribunal erstritten und umgesetzt22. Die polnischen Schul- und Hochschulabschlüsse wurden anerkannt. Polnischen Studenten der Technischen Hochschule wurden die gleichen Rechte zugesprochen wie den Danzigern. In pädagogischen Einrichtungen wie Kindergärten, der Wirtschaft, im sozialen Leben, der Publizistik, der Presse und bei Versammlungen durfte nun, unter Rechtsschutz, die polnische Sprache verwendet werden.
Diese Rechte wurden unter anderem dank der Arbeit der „Gmina Polska w Wolnym Miescie Gdansk“ umgesetzt. Dies war eine zentrale Organisation der Polen in Danzig, die in den Jahren zwischen 1921 und 1933, die gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Interessen der polnischen Minderheit vertrat.23 Parallel zu dieser Organisation entstand 1933 eine zweite „Zwiazek Polakow“, mit der sich die Gmina im selben Jahr zum „Zwiazek Polakow w Wolnym Miescie Gdansk“ zusammenschloss. Sie stellten verschiedene Abteilungen zusammen, die sich mit einzelnen Problemfeldern der polnischen Minderheit befassten, u.a. dem Schulwesen.
Die Bestimmungen für die polnische Minderheit beschränken sich auf diesen einen Artikel. Die Verfassung hielt daneben alle rechtlichen, politischen und sozialen Verhältnisse der Freien Stadt Danzig in 116 Artikeln fest.
3. Schluss: Rechte für die polnischen Staatsbürger- ein Privileg
Die Frage, ob es sich bei den Gesetzen für Polen in der Freien Stadt Danzig um ein vom Völkerbund zugesprochenes Privileg oder um einen historisch nachzuvollziehendes Recht handelt, ist umstritten.
Zunächst soll jedoch eine Erklärung zum Begriff „Recht” und „Privileg” gegeben werden.
Der Brockhaus erläutert den für die Arbeit relevanten Begriff von Recht folgendermaßen:
2) im subjektiven Sinn: der Anspruch, der sich im Einzelfall für eine Person aus der Rechtsordnung ergibt. - Das R. kann entstehen entweder durch förmliche Rechtssetzung (geschriebenes R.) oder durch Gewohnheitsrecht
und den Begriff von Privileg:
ein Sonderrecht zugunsten einer Person oder einer Gruppe von Rechtsverhältnissen; es kann auf Gesetz oder Verwaltungsakt beruhen
Die Antwort auf die Frage ob die Rechte historisch zu vertreten sind, liegt vermeidlich auf der Hand. Polen beeinflusste die Stadt Danzig Jahrhunderte lang.
Doch reicht diese Tatsache aus, damit Polen ein natürliches Anrecht auf die Stadt erheben kann? Hatte der historische Einfluss Polens eine so große Auswirkung auf Danzig, dass ihm nach dem Ersten Weltkrieg zunächst im Versailler Vertrag und dann in der Danziger Verfassung Sonderrechte zugesprochen wurden? Oder war die Gewährung der Rechte, die Wiedergutmachung an Polen, für die Jahrzehnte dauernde Aufteilung u.a. durch Preußen?
Bei den Verhandlungen zur Neugründung Polens ist es verständlich, dass die polnischen Verhandlungspartner möglichst viele Territorien für sich beanspruchen wollten und dass dafür historische Argumente herangezogen wurden. Doch waren diese nicht ausschlaggebend bei der territorialen Neuordnung Europas und vor allem Polens.
Im Versailler Vertrag wurden Polen besondere Rechte auf dem Gebiet der Freien Stadt zugesichert. Die Tatsache, dass ein Staat auf einem fremden Staatsterritorium Rechte zugesprochen bekommt, kann man als Privileg bezeichnen. Diese in der Danziger Verfassung festgelegten Sonderrechte wurden nur den Polen garantiert. Jedoch wurden die den polnischen Bürgern garantierten Sonderrechte, aus pragmatischen Gründen getroffen. Polen sollte einen Meeres- und Hafenzugang erhalten um seine Wirtschaft zu stabilisieren. Frankreich hatte mit dem Wiederaufleben und der Stabilität Polens eigene Interessen verfolgt. Polen diente auf der einen Seite als Puffer gegen die drohende „kommunistische Gefahr“ aus dem Osten und als ein starker Bündnispartner gegen das Deutsche Reich auf der anderen Seite.
Die Rechte die den Polen zugesprochen wurden waren Privilegien, die sie zum Teil aus historischen Gründen, als Wiedergutmachung für die Teilungen Polens, erhielten, aber auch aus rein strategischen Berechnungen der Siegermächte, allen voran Frankreich.
Danzig | 27.01.2011 |
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